Dienstag, April 25, 2006

Spargel

Seit Tagen hatte er nicht geschlafen, und alles nur wegen des Spargels. Der Tester vom Michelin hatte Spargel bestellt, und er hatte ihm Knurrhahn gemacht. Als er seinen Irrtum bemerkte, war es schon zu spät: Der Tester stocherte in seinem Knurrhahn herum und machte sich Notizen; dabei sah er immer wieder auf die Uhr. Zwar hatte sich später herausgestellt, dass es gar nicht der Tester war, sondern jemand, der nach Zeit Kreuzworträtsel löste, aber das hatte ihn nicht besänftigen können. Lange saß er nach Feierabend am Eingang und wartete darauf, dass jemand kam und ihm die Lizenz entzog. Es war nicht das erstemal, dass ihm das passierte. Er litt seit seiner Kindheit unter einer seltenen Spargel-Knurrhahn-Blindheit. Dass er seinerzeit die Kochprüfung bestanden hatte, war eigentlich nur Glück.

Donnerstag, April 20, 2006

Unbeirrt

Weiße Hunde auf Gepäckträgern und ein schwuler Maibaum. Der Frühling lässt sich nicht beirren.

Schornsteinpotential

Seit Tagen warte ich darauf, dass einer der fünf Schornsteine des Heizkraftwerks sich endlich einen Ruck gibt und durchstartet. Wenn er richtig Gas gibt, könnte er noch die Sonde zur Venus überholen. Dann könnte er seine Version der Geschichte erzählen.

Baggers Seufzen

Der Bagger tat sein Bestes
um sich nicht anmerken zu lassen
dass er, statt hier dumm Wurzeln auszugraben
lieber ein schönes großes Stück Straße
ins Jenseits befördern würde.
Alle hielten sein Seufzen
für etwas zu wenig Öl.

(Suppenschüsselgedicht Nr. 1)

Dienstag, April 18, 2006

Unter der Spüle

Seit er unter der Spüle lebte, hatte sich sein Tagesablauf merklich vereinfacht. Er wurde vom Frühstücksabwasch geweckt, putzte sich die Zähne, und konnte danach - mittags blieb die Küche kalt - frei über die Zeit bis zum Abendessen verfügen. Manchmal sortierte er Plastiktüten. Am liebsten aber legte er sein Ohr auf den warmen Spülbeckenboden und versuchte zu erraten, in welcher Stimmung sich der oder die Abwaschende befand. Meist wusste er beim ersten Teller bescheid. Er hätte ewig so weiter gemacht, wäre er nicht eines Tages aufgeflogen. Das Rohr war verstopft, und als der Klempner ihn entdeckte, hatte er einige Mühe zu erklären, was er hier eigentlich trieb.

Freitag, April 14, 2006

Ostergeschichte

Einem Lamm erscheint im Traum ein Hase, der sich für ein Ei hält. Das Lamm ignoriert seine Bitte, es möge ihn bemalen und anschließend in ein Nest legen. Weil der Hase so hartnäckig ist, lenkt das Lamm schließlich ein und holt Pinsel und Farbe (alles im Traum). Als es zurückkommt, ist der Hase fort. Es folgt seiner Hoppelspur und trifft auf einen Bären. Es fragt ihn, ob er einen Hasen gesehen hätte, und er sagt, wieso gesehen - gegessen! Daraufhin wacht das Lamm schweißgebadet auf. Es stürzt ans Fester, und gottseidank hoppelt unten im Garten ein putzmunterer Hase. Er zwinkert dem Lamm zu. Seither bleibt das Lamm an Ostern aber lieber wach und sieht fern.

Dienstag, April 11, 2006

Schnee für immer

Der Schnee hat gewonnen. Es liegen schon wieder zwei Zentimeter, und von mir aus können sie liegen bleiben. Das ganze Jahr. Stört doch niemanden. Und wenn doch, kann er ja außen herum gehen. Wenn’s im Sommer so richtig heiß wird, ist Schnee doch eine prima Sache. Da hätten wir auch gleich drauf kommen können.

Donnerstag, April 06, 2006

Alles frisch








Das ist meine Wohnung. Weil der Frühling kommt, habe ich mich entschlossen, etwas umzuräumen. Ganz vorne links kommt mein Sofa hin, dahinter eine Anrichte mit einem Aquarium. Ganz rechts steht der Fernseher, und die Wand hinten mit den Säulen wird grün. Sonst bleibt eigentlich alles beim Alten. Ach so, den Teppich schmeiße ich raus.

Mittwoch, April 05, 2006

Neues vom Zahn

Er ist nie so weiß, wie man glaubt. Schon mal Tipp-Ex auf einen Schneidezahn aufgebracht? Ansonsten nur Abnutzungen, da wird nichts mehr besser. Die Füllungen rosten. Speisereste von vor zwanzig Jahren lassen auf interessante vergangene Lebensgewohnheiten schließen. Abgebissene Ecken für jeden verlorenen Kampf. Zahnärzte sind immer reicher und blendender als du. Das ist bitter, so bitter wie das Zeug zum Ausspülen. Der Gesang der kleinen Turbinen setzt ein. Geruch von Schwestern und Brüdern in Angst. In der Decke sind Löcher, die Schreie schlucken. Und immer die bange Frage, ob man auf dem Weg in die Praxis in Scheiße getreten sei. Drei, vier, fünf Tampons machen dich fertig. Saugen, röcheln, überleben. 20.000 Watt in jeder Iris. An was Schönes denken? An was denn bitte mit 1 Liter Adrenalin im Gehirn? Ein Tipp fürs Durchhalten: Stellen Sie sich ein Huhn auf jeder Schulter des Zahnarztes vor; wie sie sich recken, weil sie auch was sehen möchten. Und natürlich immer schön Zahnseide benutzen.

Dienstag, April 04, 2006

Lesung

Ein Schauspieler und der, der’s geschrieben hat. Und wir hören zu. Der Schauspieler spielt, schreit, der Schreiber hat seine Augen tief in der Tinte versenkt; sieht, wie ihm die Worte davontreiben. Der Schauspieler lacht laut, der Schreiber liest leise. Die ersten halten sich an ihren Getränken fest. Nette Männer und hübsche Frauen übrigens. Sie schenken Zeit und Wohlwollen. Nicht ganz ohne Eigennutz: Jemand dabei, dem man vorlesen würde in einer lauen Sommernacht? Derweil liest und liest und liest es sich zu Ende. Der Schauspieler: souverän. Der Schreiber: erhitzt, erleichtert, aufrichtig. Gebannt warten wir alle darauf, dass einer zum Signieren kommt.

Pausenbroterinnerungen

Keine Ahnung, was auf meinem Pausenbrot war, ich erinnere mich nur an das von meinem Freund Jörg. Seine Mutter schmierte ihm Erdnussbutter drauf, und weil das damals was ganz Tolles war, bekamen alle große Augen. Aber jetzt kommt’s: Ich durfte immer das Papier ablecken, in das sein Erdnussbutterbrot eingewickelt war. Geht’s noch würdeloser? Ich stand im Pausenhof und leckte das Papier ab, während er sein fettes Erdnussbutterbrot aß. Bis auf den letzten Krümel. Man kann sich ja ausmalen, wie das auf die umstehenden Mädchen gewirkt haben muss. Zum Glück habe ich nicht drauf geachtet, ich war ja mit dem Papier beschäftigt.

Mein alter Freund Jörg... Er hat gedacht, er kommt damit durch. Aber jetzt habe ich ihn über Google ausfindig gemacht. Er sieht noch genauso fies aus wie damals. Ich habe mir bereits einige scharfkantige Erdnussbutterbrote zurechtgelegt.

Montag, April 03, 2006

Über-Ich

Als ich heute morgen aufwachte, saß mein Fotoapparat neben meinem Bett und machte Bilder von mir. Er wolle mir mal zeigen, wie ich aussehe, wenn ich noch nicht ganz da bin. Und tatsächlich, das ist interessant: Auf den ersten Bildern sieht man praktisch nichts, erst nach und nach bildet sich so etwas wie ein Gesicht aus. Das mir allerdings nicht ähnlich sieht. Ich weiß nicht, wer das ist, aber ich bin es nicht. Vielleicht mein Über-Ich? Nach zirka einer Minute kommt dann mein bekanntes Gesicht zum Vorschein, etwas zerknautscht, aber eindeutig ich. Eine Minute lang bin ich also nicht der, der ich zu sein glaube. Mein Fotoapparat wusste das die ganze Zeit. Woher? Ich werde ihn im Auge behalten.

Sonntag, April 02, 2006

Frischer Sonntag

Sonntag. Es gibt frische Brezeln. Es gibt frische Blumen. Es gibt frische Paare. Es gibt frische Matineen, Ausstellungen, Parkplätze, Parkanlagen. Nur ich bin nicht frisch. Es gibt mich seit längerem, immer mit dem gleichen Sonntagsgefühl: nichts wie raus. Aber dann was machen? Frische Paare umgehen, frische Brezeln vermeiden, frische Matineen verpassen, frische Ausstellungen nicht ansehen, frische Parkplätze und -anlagen links liegen lassen. Wie wär’s mit ein paar frischen Gedanken? Danke, heute nicht, vielleicht ein andermal.