Freitag, März 31, 2006

Von Tauben

Beobachten Sie eine Taube. Wenn sie läuft, wackelt sie mit dem Kopf vor und zurück, und das ziemlich schnell. Die Taube scannt dabei die Welt. Sie macht sich ein Gesamtbild. Würde sie ihren Kopf ruhig halten, entginge ihr das Wesentliche. Aber so erfasst sie alles, man kann ihr nichts vormachen. An ihrem wohligen Gurren erkennt man, dass sie mit sich im Reinen ist. Niemand mag sie, weil sie überall hinscheißt, aber damit kann sie leben. Und weil sie so gerne lebt, legt sie sogar im Winter Eier, direkt auf den Schnee. Die werden zwar nichts, aber der unbedingte Wille der Taube zum Leben ist erkennbar. Jetzt, wo der Schnee weg ist, erhebt sich die Taube in die Luft. Ihre Tage am Boden sind gezählt. Vielleicht kommt sie nicht wieder. Aber sie wird uns in guter Erinnerung behalten.

Grillsaison

Das ist ein Lavastein-Gasgrillwagen, es gibt ihn demnächst bei Aldi. Ich werde mir einen holen. Ab Ende Mai treffen Sie mich dann an der Isar. Sie erkennen mich an den glühenden Würstchen, die vom Grill ins Wasser fließen und sich dort zischend verfestigen. Besonders für Kinder ist das ein schönes Schauspiel. Sie sollten vorher aber etwas gegessen haben.

Freiheit

In Sauerlach gibt es einen Tengelmann, eine Kreuzung und ein Hotel. Verlässt man Sauerlach zu Fuß Richtung Westen, kommt man nach zwanzig Minuten an einen Wald. Setzt man sich dort auf einen Baumstamm und lauscht in die Stille, hört man in der Ferne die Autobahn rauschen. Ich glaube, es ist die A8. Folgt man der A8, ist man irgendwann in Italien. Folgt man dem Weg zurück aus dem Wald, ist man wieder in Sauerlach. Das ist Freiheit.

Donnerstag, März 30, 2006

Im Zoo

Krokodile möcht ich reiten
und auf Spinnen schwimmen
Seegurken mach ich an für den Salat
Löwen schmier
ich Gel
ins Haar
Auf Tigern
spiel ich
Autobahn
Der
Pinguin
der
Pinguin
den stell ich in die Ecke hin
Ach... heute ist kein guter Tag.

(Nachttischlampengedicht Nr. 2)


Unterwanderung

Seit einigen Tagen hängt mein Laptop schief. Ich habe bereits den Tisch untersucht sowie das Laptop selbst, fand aber nichts. Mein Verdacht: Das Haus, in dem ich wohne, ist in Schieflage geraten. In dieser Gegend treten neuerdings seltsame Geräusche auf, man hört sie nur nachts, es stand in der Zeitung. Die nächste Bank ist nur einen Straßenzug entfernt. Machen Sie sich Ihren Reim drauf.

Es gibt aber noch eine zweite Theorie: Ameisen. In dieser Gegend wimmelte es einst von Ameisen. Sie waren aus einem exotischen Land eingewandert und hatten es sich in den Abwasserrohren gemütlich gemacht. Dann kam der Kammerjäger. Das ist nun Jahre her, die Ameisen wurden nie wieder gesehen. Aber jetzt verunglückte der Kammerjäger bei einem mysteriösen Autounfall. Machen Sie sich Ihren Reim drauf.

Mittwoch, März 29, 2006

Der Igel hat sich für den Frühling schön gemacht

Der Igel meint Sie, meine Dame oder mein Herr. Haken Sie sich ruhig bei ihm ein. Er führt sie durch ein Tulpenfeld ohne Ende. Sie müssen es nur zulassen. Es gibt diese Felder. Der Igel hat sie gesehen. Und was er berichtet, übersteigt all Ihre Erwartungen.

Gut und böse II

Überall wird man nun darauf hingewiesen, dass jeder von uns das Gute und das Böse in sich trage - erst gestern im Kino in einer Vorschau auf einen Actionfilm. Das klingt zunächst plausibel. Wenden wir uns jetzt Herrn Berlusconi zu. Sehen Sie sich ihn genau an. Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber ich finde, dass Herr Berlusconi das Böse besonders gehaltvoll in sich trägt, sagen wir 3,8%, wie eine fette Vollmilch. Die meisten Menschen, die ich kenne, kommen auf höchstens 1,5%. Ich selbst bin auch so ein Magermilchbösewicht. Zusammenfassend würde ich also sagen, dass Herr Berlusconi böser ist als die meisten und die Aussage, dass jeder das Gute und Böse in sich trage, letztlich für den Arsch.

ICE

Im ICE nach Berlin. Sobald alle ihre Plätze eingenommen haben, geht’s los: Alle stehen wieder auf und laufen herum. Ich sitze direkt an der automatischen Tür - fawisch, fawasch - und bekomme alles mit. Ich beobachte die Völkerwanderung durch den Zug, die Reise nach Jerusalem. Man rempelt mich an. Zurück bleiben Mützen, Zeitschriften und Tupperdosen auf leeren Plätzen. Wo gehen sie hin? Was machen sie dort? Ich könnte aufstehen und ihnen folgen, bestehe aber darauf, nach Berlin zu fahren, nicht zu laufen. Der Großraumwagen ist nun leer bis auf mich. Selbst der Schaffner bleibt aus, ebenso die Brezelverkäuferin, die mich mit ofenfrischen Brezeln versorgen sollte. Ein Gefühl von Alleinsein. Draußen fliegt alles dahin, man kann es nicht festhalten. Man möchte es auch gar nicht festhalten. Wenn der Schnee weg ist, sieht es nicht schön aus da draußen. Alles in Matschgrau und Faulbraun. Ich falle in einen tiefen Schlaf. Als ich aufwache, bin ich in Moskau. Auf dem Bahnsteig sehe ich Gerhard Schröder. Er lächelt mir zu, ich lächle zurück.

Mittwoch, März 22, 2006

Nur Reis

Ich träume von einem Restaurant, in dem es nur Reis gibt. Nicht in Variationen, also nicht etwa 100 verschiedene Reisgerichte aus aller Welt, sondern nur Reis. Ein einziges Reisgericht. Und das besteht aus gedämpftem Reis. Ein Teller voll Reis, nicht mehr und nicht weniger. Der Reis ist perfekt gegart, leicht gesalzen und mit sehr wenig Olivenöl beträufelt. Es wird eine ausreichende Menge serviert, um satt zu werden. Männer bekommen eine etwas größere Portion als Frauen, und Kinder bekommen eine Kinderportion. Es steht weder Salz noch Pfeffer auf dem Tisch, dafür eine große Karaffe mit Wasser und dazu Gläser. Es wird keine Musik gespielt und es wird kein Kaffee gemahlen. Es liegen keine Zeitungen aus. Rauchen ist nicht gestattet. Die Tische sind aus hellem Holz, die Wände sind weiß. Blumen? Von mir aus, aber keine Nelken. Es gibt ein Bonusheft. Wer neun mal hier war, bekommt das zehnte Reisgericht umsonst.

Dienstag, März 21, 2006

Reinkarnation

Neulich die Frage: Wäre ich lieber eine Frau? Komische Frage, aber hier die Antwort: nein. Denn ich war schon mal eine, ich weiß, wie es ist. Womit wir beim Thema Reinkarnation sind. Was auffällt, ist, dass Menschen, die daran glauben, durchweg hohe Tiere waren, eine ägyptische Priesterin, Napoleon, Einstein. Ich hingegen war die Köchin von Shakespeare. Über Shakespeare kann ich nicht viel erzählen, nur übers Kochen. Bei meiner Rückführung sah ich deutlich Lamm mit Erbsen. Das Lamm war allerdings viel zu durch, und die Erbsen, naja. Die anderen Bilder waren unklar. Jedenfalls war ich eine Frau, so viel ist sicher. Ich konnte die Erbsen spüren, sie waren irgendwie... traurig. So etwas spürt kein Mann, oder?

All you can eat

Beim Chinamann hat man immer das Gefühl, die wollen gar nicht, dass ich hier esse. Deshalb tue ich nur so, als studierte ich die Karte. Der Kellner bringt Pflaumenwein, ich studiere noch, er geht wieder. Scheinbar interessiertes Abschreiten des Buffets. Es gibt frittierte Bananen, frittierten Fenchel, frittiertes...eventuell Huhn. Ich nehme etwas Krabbenbrot und kehre zurück an meinen Platz. Der Kellner hat inzwischen das Interesse verloren. Er sitzt vor der Küche in tiefer Kontemplation. In der Küche ist übrigens niemand. Ich probiere eine der scharfen Soßen auf dem Tisch, sie schmeckt seltsam, ich fühle Schmerz, zittere, sehe, wie sich meine Hand auflöst, dann der Rest meines Körpers, und ich bin unsichtbar. Stückchen von Krabbenbrot schweben zu meinem nicht mehr vorhandenen Mund und verschwinden im Nichts. Ich versuche, mit dem Chinesen telepathisch in Kontakt zu treten, aber ich empfinde nur diffuses Gelb. Irgendwann materialisiere ich wieder. Der Chinamann ist fort. Auf dem Weg nach draußen nehme ich einen Glückskeks und befreie einen Goldfisch aus einem trostlosen Aquarium. Im Glückskeks steht: „You are what you think you are“. Das ist wahr.

Liebe


Mausi und Schnuckelbär verliebten sich im Mai.
Mausi war die Frau, auf die Schnuckelbär schon immer gewartet hatte. Schnuckelbär war der Mann, auf den Mausi schon immer gewartet hatte.
Im Juni haben die beiden ein Picknick gemacht.
Im Juli sind sie zusammen in Urlaub gefahren.
Im August sind sie zusammengezogen.
Im September hat Mausi Schnuckelbär gesagt, dass er Nasenhaare hat.
Im Oktober hat Schnuckelbär zu Mausi gesagt, dass er mal Abstand braucht.
Im November hat Mausi Schluss gemacht.
Im Dezember hat Schnuckelbär sie nochmal überredet.
Im Januar ist Mausi schwanger geworden.
Im Februar haben Mausi und Schnuckelbär geheiratet.
Im März hat Schnuckelbär auf Ebay einen Kinderwagen ersteigert, mit dem man joggen kann.
Was Schnuckelbär nicht weiß: Am 3. April 2017 wird ihn Mausi, während er bei Lidl einkauft, mit einem kroatischen Schuhverkäufer betrügen, der aussieht wie Rudi Carrell.

Montag, März 20, 2006

WM

Im Moment sieht es nach folgendem WM-Szenario aus:

Deutschland verliert alle Spiele kläglich und scheidet in historischer Einmaligkeit aus. Wir, die Leute, stehen erst ratlos vor den Großbildleinwänden, dann reißen wir uns zusammen und jubeln zum Beispiel für Japan. Eine Welle der Zuneigung erfasst Deutschland. Zum erstenmal spüren wie die Befreiung von der Pflicht. Der Krampf lässt nach, die Depression verwandelt sich in spirituelle Gelassenheit. Wir lassen los. Jetzt jubeln wir nicht mal mehr für Japan, sondern für alle. Jedes Tor wird gefeiert, auf beiden Seiten. Die Welt wundert sich und will schon Truppen schicken, wird dann aber angesteckt mit dem Virus der Liebe. Sepp Blatter, die Fratze des Kapitalismus, bekommt das dritte Auge auf die Stirn getupft. Die Allianz-Arena wird zum Weltraumlandeplatz, ihre Waben leuchten im Rhythmus der kosmischen Musik. Fussbälle werden in die Umlaufbahn gebracht. Der blaue Planet singt. Endlich zeigen sich friedliche, erleuchtete Aliens; sie hatten gedacht, das würde hier nie mehr was. Es stellt sich dann heraus, was alle vermuteten: Jürgen Klinsmann war einer von ihnen.

Freitag, März 17, 2006

Gut und böse

Eines frühen Morgens kurz nach Ladenöffnung entdeckte Herbert K. im Senfregal eine Dose „Bautz’ner Senf mittelscharf“ und war empört. Erstens störte ihn der blaue Deckel. Zweitens, und das war der eigentliche Grund seiner Empörung, störte ihn der Senf als solcher. Er fragte sich, was dieses Produkt hier zu suchen hatte. Herbert kaufte seit Jahren mittelscharfen Senf einer bekannten Marke, und er war damit vollauf zufrieden. Ratlos stand er vor dem Regal. Wie war der fremde Senf hier her gekommen und wieso? Wer machte so etwas? In diesem Moment stieg in Herbert eine riesige Wut auf. Er hätte am liebsten das Regal eingerissen, oder besser den ganzen Laden zertrümmert. Sein Gesicht wurde feuerrot. In diesem Moment entschied sich Herbert, ein schlechter Mensch zu werden. Das Gutsein hatte ihm sowieso nichts gebracht. Es war ein Moment unendlicher Erleichterung, wie der Fall in ein riesiges Kissen aus Daunen. Sein Plan war folgender: Er würde sich ein Ei besorgen und heimlich auf den Senf legen, auf diesen blauen Deckel. Und dann würde man ja sehen, was passiert. Er legte eine Tube seines alten Senfs in den Korb und ging weiter zum Eierregal. So fröhlich wie nach diesem Entschluss hatte man Herbert K. schon lange nicht mehr gesehen.

Begegnung

Sie geht an mir vorbei
wie sie an jedem vorbei geht
wie sie sogar an jeder vorbei geht
ohne nur ein
nur ein
nur einen
kürzesten
Blitz
Frag
ment
Moment
auch nur winzigst
meinen werten Blick
zwei, eins, null mal
zu kreuzen.
(Nachttischlampengedicht Nr. 1)

Donnerstag, März 16, 2006

Bitte lächeln!

Falls ich Ihnen mal auf der Straße entgegen komme und lächle, bin ich vermutlich gerade an einem irrwitzigen Preisschild vorbeigekommen. Zum Beispiel ein Herrenpullover für 269,- Euro. Dann muss ich lächeln, aber nicht dieses herzliche, schöne, sondern dieses bittere durch die Zähne. Wer mich so sieht, meint oft, ich sei fröhlich, das stimmt aber nicht. Ich kann auch über einen besonders dreisten Menschen lächeln, der sich vor mir in die U-Bahn drängt. Auch das wird falsch aufgefasst, oft lächelt jemand zurück und wundert sich dann, dass meine Miene versteinert. Denn ich will Ihnen nichts vormachen: Sonst lache ich kaum noch. Irgendwie ist mir der Humor abhanden gekommen. Und jetzt meine These: Ihnen geht es genauso. Aber auch Sie hält man für einen fröhlichen Menschen; Sie lachen doch so nett. Schaut doch mal, wie sympathisch! Niemand nimmt die Faust in Ihrer Tasche wahr, das Spielen der Kaumuskeln, das Zucken Ihres Augenlids. Man kann den anderen aber keinen Vorwurf machen. Sie selbst tun nämlich alles dafür, dass dieser Eindruck erhalten bleibt. Sie wollen ein witziger Kerl sein. Sie sind auf keinen Fall depressiv, nie im Leben! Frauen stehen auf witzige Kerle. „Ich will, dass er mich zum Lachen bringt“ steht in der Rangliste ganz weit oben. Im Büro, im Treppenhaus, beim Geburtstag - überall das gleiche: Man will Sie lächeln sehen, und Sie lächeln. Dabei fühlen Sie sich hundeelend. Sie fragen sich, was mit Ihnen nicht stimmt. Sie finden keine Antwort. Denn die Frage führt zu nichts. Wir können es gerne versuchen. Also, wenn ich Sie mir so ansehe, sind Sie ein netter Kerl. Ein bisschen angestrengt vielleicht, etwas fickrig. Haben Sie das Wippen Ihres rechten Beins bemerkt? Ganz ruhig, wir sind doch hier unter uns. So ist es besser. Ich finde, Sie sehen toll aus. Ihre Hände sind sehr gepflegt, und Ihr Haar sitzt genauso gut wie Ihr Anzug. Sie haben sogar Ihre Schuhe geputzt. Das blaue Einstecktuch steht Ihnen ausgezeichnet. Nein, Sie gehen jetzt nicht an Ihr Handy! Merken Sie, wie Ihr Bein sofort wieder wippt? Wir können hier auch meinetwegen Schluss machen, ich habe mir ein Urteil gebildet und kann Sie beruhigen: Mit Ihnen ist alles in Ordnung. Lachen Sie ruhig, auch wenn Ihnen zum Weinen ist. Das ist ok. Wir sind alle nur Menschen. Und von mir erfährt niemand was. Versprochen.

Runde 3

Ein Teebeutel hatte Vogelgrippe. Er behielt es aber für sich, weil er davon ausging, dass das Virus die nächste heiße Tasse nicht überleben werde. Dummerweise wurde er aber nicht als Tee, sondern als Gemüsedünger eingesetzt. Jetzt bekamen die Radieschen auch Vogelgrippe. Und wenn sie bald im Biergarten gegessen würden, von einer Dame mit Federboa, hieße es wieder, die Frauen seien Schuld.

Runde 2

Ein ausgebranntes Fünfmarkstück wollte sich in einen Löwen begeben. Also rollte es zum Zoo und umschmeichelte die Füße eines Mädchens mit blauer Zipfelmütze, aber das Mädchen schmiss mit Popcorn nach ihm. Es blieb dem Fünfmarkstück nichts anderes übrig, als sich einem unbekannten Karpfen hinzugeben, der im Graben vor dem Löwen schwamm. Der Löwe indes hätte gerne die blaue Zipfelmütze gefressen.

Aufwärmrunde


Mein Schmalzbrot kann fliegen. Ich muss es anbinden. An Sonntagen lasse ich es ein paar Runden drehen, dann kommt es zurück und ist müde und ausgebrannt. Salzen hilft, aber ich mache immer wieder den selben Fehler und versuche, es zu trösten. Am nächsten Sonntag werde ich es losbinden und aufessen.